#171-172: 75 Jahre Israel

Schabbat

Stellen wir uns einmal folgende Szenen vor: Wir sitzen in einem hippen Café in Tel Aviv, es ist Schabbat, und sprechen mit einer Studentin. Wir fragen sie, ob wir gemeinsam Jerusalem anschauen wollen, und sie antwortet, dass dies unmöglich sei, denn Jerusalem wäre viel zu gefährlich. Stellen wir uns weiter vor, dass wir nun bereits in der Neustadt von Jerusalem sind, in einem trendigen veganen Lokal beim Yehudah Markt und mit einer Künstlerin sprechen. Wir machen den Vorschlag, in die 2 km entfernte Altstadt zu spazieren. Sie wohne zwar in Jerusalem, so die Künstlerin, sei aber nur einmal als Kind in der Altstadt gewesen, da es dort viel zu gefährlich sei. Später sitzen wir mit einem älteren Palästinenser in einem von Mormonen geführten Olivenhain nahe der Grabeskirche von Maria. Er findet, dass der 6-Tage-Krieg eine abgekartete Eroberung war. Bis heute besitze er „nur“ einen jordanischen Pass. Später fahren wir mit zwei Amerikanerinnen in ein Flüchtlingslager in der Westbank, wo aus Geschosshülsen gefertigter Schmuck verkauft wird. In einem heißen Bus, aus Ramallah kommend, sitzen wir an der Mauer fest, bis schwer bewaffnete Soldaten jedes einzelne Dokument kontrolliert haben. Im streng orthodoxen Viertel von Jerusalem hingegen entdecken wir palästinensische Flaggen und fragen uns, was das nun wieder zu bedeuten hat. Die Antwort kommt rasch: Unter orthodoxen Juden glauben viele nicht an den Staat Israel, sondern nur an den Gottesstaat, und wähnen sich somit in Palästina.

Juden, Muslime, Christen, Gläubige und Nichtgläubige, wir alle haben eine tiefe Verbindung zu diesem Stück Erde. Doch Israel steckt in einer politischen, demokratischen und demografischen Krise. Obwohl das Land als die einzige Demokratie im Nahen Osten gilt, hat es keine Verfassung, denn solange die Besatzung andauert, kann diese nicht ratifiziert werden. Die rechte Regierung möchte eine Justizreform durchbringen, die die Demokratie aushöhlen würde. In Folge gehen seit Monaten hunderttausendeMenschen – mit unterschiedlichstem Background – auf die Straße. Vor allem am Sabbat.

75 Jahre nach seiner Staatsgründung, inmitten einer entscheidenden Phase für Israel, befragen wir Menschen aus Israel zu ihrer Sicht der Dinge.

Hannes Egger / Haimo Perkmann