#170: Atlas Stelvio

Silvia Camporesi nimmt uns in ihrem Atlas Italiae auf eine fotografische Reise durch die 20 Regionen Italiens mit und zeichnet darin ein ebenso schönes wie erschreckendes Bild des Stiefelstaates. Sublim entfalten die als Stillleben abgebildeten Geisterorte ihre Wirkung. Italien ist nicht nur der Dom von Mailand, das antike Rom, ausgebuchte Urlaubsorte entlang der Küsten. Italien ist auch eine unbemerkte, aber zunehmende Ansammlung verlassener Weiler und Dörfer entlang der Hügel und Bergketten, kleine Zentren, die seit Jahrzehnten von Abwanderung geprägt sind und leise unaufhörlich verfallen.

Dieser Verfall hat etwas poetisches, die Ruine ist immer romantisch, dennoch stellt sich die Frage: Ist dies das Land, in dem die Zitronen verdorren? Es ist auf jeden Fall vielfältiger als die immer wiederkehrenden Instagram-Motive. Der „wilde Apennin“ und die „unüberwindlichen Alpen“ schaffen die geographische Voraussetzung für die großen regionalen Unterschiede in Kultur und Küche. Trotz dieser starken regionalen Identität zieht es die Menschen unaufhörlich vom Süden in den Norden, von Italien in die Welt, von den Dörfern in die Metropolen und touristischen Hotspots, während die Provinz ausdünnt. In anderen Ländern ist dies bereits Realität. Regionale Differenzen schwinden im globalen Kontext.

Um dieser Art von kultureller Verarmung entgegenzuwirken, haben die EU und Italien den Fonds für Aufbau und Resilienz (PNRR) entwickelt. Gefördert werden unter anderem italienweit 21 historische Ortschaften (borghi), die einen großzügigen Beitrag zur Wiederbelebung erhalten, diesen jedoch bis 2026 investiert haben müssen. Einer dieser Orte ist das Südtiroler Bergdorf Stilfs (italienisch Stelvio) an der weltbekannten Straße zum Stilfserjoch. Grund genug für Kulturelemente, sich in den Stilfser Gassen umzusehen und zu erkunden, woher heute der Vinschger Wind weht.

Hannes Egger / Haimo Perkmann

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