Wenn wir auf das 20. Jahrhundert zurückblicken, dann werden wir erkennen, dass wir die erste Hälfte des Jahrhunderts vor allem mit Krieg, Tod und Genozid assoziieren, gefolgt von einem zähen Kampf ums Überleben in der Nachkriegszeit – eine mühsame, schwere Zeit mit Millionen Toten, über welcher groß das Verdikt „Nie wieder” prangt. Dagegen erscheinen uns – im Westen – die letzten 50 Jahre als eine existentiell leichte, beschwingte, bisweilen dümmliche, von Sex, Drogen und elektronischen Klängen geprägte Zeit. Auch heute stehen Spaß und individuelle Erfüllung – analog und digital – hoch im Kurs. Dabei wird immer wieder moniert, dass wir zugleich die Welt für künftige Generationen ökologisch verbauen. Insgesamt verdanken wir den Fortschritt dem wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Krieg, in dessen Folge die erste Nachkriegsgeneration ab 1968 unsere Gesellschaftsordnung auf den Kopf gestellt hat. Die folgenden Generationen haben sich an ihnen abgearbeitet, in den 70ern wollte man noch radikaler sein, in den 80ern dann die konservative Wende… und heute, im 21. Jh., wendet das Narrenschiff hart Steuerbord. Der Kurs steht rechts und die 68er, welche für die aktuellen politischen Verfehlungen verantwortlich sein sollen, werden wie das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. So erging es in der Napoleonischen Ära auch schon der Aufklärung, die intellektuell weit größeres geleistet hat.
Der Wohlstand im Kalten Krieg war ohne Zweifel eine westliche Blase, die erheblich auf Ausbeutung basierte. Andere Kontinente befanden sich auf der „heißen” Seite des Kalten Krieges und kannten weder Wohlstand noch Frieden. Was sollen jene, die unsere Bomben erdulden müssen, von unserem „Humanismus” halten?, fragt Merleau-Ponty schon 1946. Heute müssen wir mit den wirtschaftlich begründeten Fluchtursachen zurande kommen. Stattdessen aber sieht man die Weltordnung in Gefahr, erlebt die Wiederholung der Geschichte als Farce vom Untergang des Abendlandes. Die Probleme rund um Migration, Toleranz und Pazisfismus bis hin zur Geburtenrate und einer überstrapazierten Politischen Korrektheit wird gern den 68ern in die Schuhe geschoben. Aber stimmt das auch? Sind nicht gerade die Vertreter dieser Generation politisch unkorrekt geblieben? und sind nicht viele 68er längst auf einen pro-amerikanischen Nato-Kurs eingeschwenkt? Fragen über Fragen, denen wir als „diskutierende Klasse” in dieser kontroversen Ausgabe nachgehen wollen.
Hannes Egger / Haimo Perkmann
Download: Kulturelemente 130-140