#121: Im Wartesaal der Zukunft

Trotz der sozialen Umwälzungen der letzten Jahre ist eine feste Anstellung nach wie vor ein wichtiges Kriterium für den Berufswunsch und gilt als ausschlaggebend für das eigene Glück. Doch wie passt dieser Wunsch in unsere aktuelle Weltordnung, die als alternativlos gilt und deren Entwicklung keine Vollbeschäftigung mehr garantieren kann? Arbeit bleibt die wichtigste Legitimation, um sich als wertvolles Mitglied der Gesellschaft zu fühlen, dabei gibt es immer weniger Erwerbsarbeit. Ist hier individuelles Unglück vorprogrammiert?

Vielleicht verrät ein Blick in die Vergangenheit etwas über unsere Zukunft am Arbeitsmarkt. Was hat es zu bedeuten, dass Angst und Depression – unter neuen Namen wie Burnout – im Verlauf des 20. Jh. die Neurose als Hauptsymptom abgelöst haben? Als ausschlaggebend dafür wird angesehen, dass die Ursache für Erfolg und Misserfolg nicht mehr im System oder in der Gesellschaft gesucht wird, sondern bei sich selbst. In einer Welt der Ich-AG’s, der transparenten Selbstverwalter, die für Ihr Gelingen selbst verantwortlich sind, weicht die Dialektik von Erfolg und Misserfolg zunehmend einer permanenten Anspannung und Entgrenzung: um nicht zu scheitern, verschwindet bei vielen Menschen die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit.

Nietzsche warf den Sozialisten seiner Zeit eine Wartesaal-Mentalität vor und empfahl den Armen auszuwandern. Heute ist selbst diese Möglichkeit nicht mehr gegeben. In der aktuellen Krisenzeit erleben wir eine Neuauflage des Konflikts liberaler und marktsozialer Weltanschauungen. In einer Situation ohne Möglichkeit auf Vollbeschäftigung werden herrschende Konzeptionen von Wertschöpfung und Arbeitsleistung an vielen Denkschmieden neu überdacht. Doch bis dahin wird erstmal versucht, das Wirtschaftswachstum durch die Erschließung und den Ausbau neuer – grüner oder virtueller – Märkte anzukurbeln.

Haimo Perkmann

 

Inhalt

Klaus Neundlinger zeigt den komplexen Übergang von der Arbeitskraft zum unternehmerischen Selbst auf.
Die marktorientierten
Weichenstellungen der EU und ihre Auswirkungen analysiert Karl Gudauner.
Esther Redolfi Widmann erörtet über „das andere Geschlecht“ frauenspezifische Problematiken der heutigen Arbeitsrealität.
Das Kulturfestival LanaLive stand im Zeichen der Geschichte der Industriezone Lana: Zeugenberichte von Franz Magazine und ein Interview mit Raffaele Virgadaula.
Hannes Egger stellt „LANDED – Geschichten vom Angekommensein“ von Giovanni Melillo Kostner vor.
Die Galerie präsentiert die Ton-Bild-Performance „The gentile worker“ von Benno Simma.

 

 

Kulturelemente 121

Kulturelemente Beilage 121-122

 

Kulturelemente 121

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