Ich hatte vergessen, wo sich an meinem Auto der Tankdeckel befindet. Rechts oder links? Die Bankomat Nummer hatte ich auch vergessen, da ich seit Monaten alles online erledigte. Es schien mir sicherer und erlaubt mir, Zahlungen in die Zukunft zu verschieben. Doch gerade diese ist ungewiss und vielleicht ebenso zum Vergessen. Auswirkungen eines dreimonatigen digitalen Monadendaseins. Covid19 hat mich vergessen lassen!
Sicher habe ich auch Menschen vergessen. Heute sehe ich wieder Leute auf der Straße und erinnere mich an sie. Nicht wenige fühlen sich nach dem langen Stand-by offenbar auch beim Autofahren nicht mehr wohl. Die Öffentlichen Verkehrsmittel wollen viele aber noch nicht benutzen. Und stellen wir uns folgenden, bis vor kurzem als absurd empfundenen Verlauf vor: Die Ferien sind kürzer, denn die Schule beginnt früher! Die Kinder freuen sich darauf, hurra! Und doch gehen viele nicht hin, denn die Eltern haben Angst.
„Was Sie nicht vergessen wollen, steht in Ihrem Kalender und trotzdem passiert es. Auch den Kalender können Sie wo vergessen.“ schreibt Autor Jörg Zemmler in der vorliegenden Ausgabe der Kulturelemente, die um das Vergessen in der Literatur kreist. Er resümiert: „Es gibt ein Wort von Peter Handke, es heißt –nachfühlen–. Wenn auch das nicht mehr geht, ist es vorbei.“
Die Autor*innen der Kulturelemente 153 unternehmen daher theoretische, künstlerische und literarische Ausflüge hin Zum Vergessen, sie beschreiben die Nachlassarbeit im Brennerarchiv, erinnern sich an Ungehörte Orte und anspruchsvolle Soundkünstler, erforschen die Archivarbeit und das Wesen von im Nachhinein verfassten Reiseberichten. Sie verhandeln aber auch das Paradeexempel des Vergessens, d.i. der Umgang mit dem Krieg und seinen Toten.
Hannes Egger / Haimo Perkmann
Download: Kulturelemente_153